Frostig sind die Temperaturen in Straubing. Doch vor der eingeschneiten Joseph-von-Fraunhofer-Halle geht es heiß her. Mit Ratschen und Trillerpfeiffen, Transparenten und selbstgemalten Schildern sind dort 450 Beschäftigte der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie zusammengekommen. Es ist der 7. Dezember – und gleich beginnt die erste Tarifverhandlung in der Holz- und Kunststoffindustrie. Drinnen in der warmen Halle sitzt bereits die Arbeitgebervertretung. Draußen in der Kälte heizt der oberbayerische Liedermacher Sepp Raith mit seiner Gitarre die Stimmung an. Singt seinen bayerisch-urigen Hit „Der Haberfeldtreiber“ – und skandiert: „8,5 Prozent brauchen wir! Und nicht weniger!“
Doch es ist keineswegs allein diese musikalische Unterstützung der Kundgebung, die die Anwesenden so aufpeitscht. „Das hier ist ein Hilferuf der Beschäftigten“, betont Joachim Gräbner, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Novem Car Interior in Vorbach. „Sie treibt die Sorge um, wie sie ihr Leben angesichts der Inflation noch anständig bestreiten können.“ Torsten Marschlich, IG Metall-Vertrauensmann bei Peri in Weißenhorn ergänzt: „Der letzte Tarifabschluss ist zwei Jahre her, seitdem sind die Preise explodiert. Viele mussten deshalb einen Zweitjob annehmen.“
Gräbner und Marschlich sind Mitglieder der Verhandlungskommission der IG Metall. Sie fordert für die Beschäftigten 8,5 Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von zwölf Monaten und eine soziale Komponente, zum Beispiel in Form einer Inflations-ausgleichsprämie. Die Ausbildungs-vergütungen sollen überproportional steigen.
Zur Kundgebung haben die Beschäftigten Riesenpostkarten mitgebracht, auf denen die Forderungen stehen. Vor der Verhandlung überreichten sie diese den Arbeitgebern. Neben Novem und Peri sind auch Heyco, Sanipa, Heim & Haus, Jeld-Wen, Steelcase und Hamberger beteiligt. Und auch zahlreiche Beschäftigte von Bayerwald Fenster Haustüren aus Neukirchen und Völkl aus Straubing sind bei der Kundgebung dabei. In beiden Betrieben kämpfen die Beschäftigten aktuell um einen Tarifvertrag. Die Beschäftigten von Bayerwald führen an diesen Tag dafür einen Warnstreik durch.
Doch dann die Enttäuschung: Die Arbeitgeber beenden die Verhandlung ohne ein Angebot vorzulegen. Wertschätzung? Fehlanzeige! Dabei äch zt die Branche unter Fachkräftemangel, und das liegt offenkundig auch an den Arbeitsbedingungen. Laut einer aktuellen IG Metall-Umfrage fühlen sich 60 Prozent der befragten Beschäftigten in ihren Betrieben nicht fair und wertschätzend behandelt.
Am 9. Januar 2024 findet die nächste Verhandlung statt – drei Tage später endet die Friedenspflicht, am 12. Januar um 0 Uhr. »Die Arbeitgeber bekommen also noch eine Chance, uns ein Angebot vorzulegen. Ein Angebot, das vernünftig und gerecht ist. Sonst drohen Warnstreiks“, sagt IG Metall-Verhandlungsführer Michael Pfeiffer. „Wir kämpfen jetzt umso entschlossener weiter“, bestätigt Michael Wild, Betriebsratsvorsitzender von Sanipa in Treuchtlingen. „Für die 8,5 Prozent. Denn es ist höchste Zeit für mehr Geld!“
Video und Bilderstrecke zur Aktion in Straubing