Gewerkschaftliche Bildungsarbeit
Mehr als ein Seminar

Vor zehn Jahren wurde sie gegründet: die Betriebsräteakademie Bayern. Und sie ist ein voller Erfolg. Kein Wunder also, dass das Projekt bundesweit immer mehr Nachahmung findet.

18. Oktober 202218. 10. 2022


Was Betriebsratsmitglieder alles wissen und können müssen! In diesem Jahr fanden wieder Betriebsratswahlen statt – und viele von den Kolleginnen und Kollegen, die neu in das Gremium gewählt wurden, stehen vor einem Berg an neuen, herausfordernden Aufgaben. Denn Betriebsrätin oder Betriebsrat ist ja kein Ausbildungsberuf. Ebenso wenig wie Vertrauensfrau oder -mann, Jugendvertretende oder Schwerbehindertenvertretende. Seit zehn Jahren aber sorgt die Betriebsräteakademie Bayern (BAB) mit ihrem ausgefeilten Bildungsprogramm dafür, dass die Beschäftigten im Freistaat starke Interessenvertretungen auf Augenhöhe der Arbeitgeber haben.

2012 wurde die BAB mit dem Ziel gegründet, die bayerische regionale Bildungsarbeit zu bündeln und zu professionalisieren. Triebfedern hinter diesem ehrgeizigen Projekt waren der damalige IG Metall-Bezirksleiter Jürgen Wechsler und der damalige Leiter der Kritischen Akademie Inzell Wilfried Hess.

Augenmerk auf Regionalität

Völlig unübersichtlich war bis dahin das Bildungsangebot. Vor allem viele private Anbieter mischten den Markt auf. Eine zielgenaue, betriebsnahe und praxisorientierte gewerkschaftliche Bildung mit hochqualifizierten Referierenden war dagegen die Vision von Wechsler und Hess. Organisiert aus einer Hand.

Die Kritische Akademie Inzell, eine Weiterbildungsstätte, die in der Bildungsarbeit der IG Metall bereits einen festen Platz hatte, bot dafür ein perfektes Fundament. »Administration und Bildungs-Know-how waren bereits vorhanden«, erklärt Wechsler.

»Ich tingelte mit unserer Idee durch ganz Bayern«, erinnert er sich. Und stieß bei den »allermeisten Geschäftsstellen der IG Metall« auf großes Interesse. Denn eines war immer klar: Neben überregionalen Angeboten sollte die neue Bildungsstätte einen Schwerpunkt auf regionale Bildungsangebote legen. Mit klarem Fokus auf die jeweiligen Bedürfnisse vor Ort.

Rekordzahlen

Heute hat die BAB sieben Außenstellen mit Ansprechpartnerinnen und -partnern für Betriebe und Geschäftsstellen vor Ort. Und jede der 21 Geschäftsstellen verfügt über ihr eigenes Bildungsprogramm. Eines der Erfolgsgeheimnisse der Akademie. Ein weiteres: »Alle ziehen beim Thema Bildung heute an einem Strang«, sagt Hans Berger, der als damaliger Bildungssekretär in der IG Metall-Bezirksleitung die Anfänge der BAB eng begleitete.

Von Jahr zu Jahr stiegen die Teilnehmendenzahlen und -quoten. Vorläufiger Höhepunkt: In der Amtsperiode 2014 bis 2018 konnten 70 Prozent der neu gewählten Betriebsräte für ein Einführungsseminar gewonnen werden. »Damit steht Bayern bundesweit absolut an der Spitze. Kein anderer Bezirk hat jemals solche Zahlen erreicht«, betont Thomas Veit, heutiger Leiter der Betriebsräteakademie Bayern.

Mit Corona kam zwar ein kleiner Einbruch. Aber knapp 60 Prozent der neu gewählten Betriebsräte absolvierten selbst in der Pandemieamtszeit ein Seminar – trotz Ausgangssperren und Kontaktverboten. Denn die BAB reagierte schnell auf die neue Situation. Für Onlineseminare wurde in der Kritischen Akademie Inzell ein professionelles Studio eingerichtet.

Eigenes professionelles TV-Studio

Onlineseminare gehören heute genauso zum festen Repertoire der BAB wie die Onlineplattform lernplus.de, auf der vertiefendes Material und Übungsaufgaben zur Verfügung stehen. »Kinder, ein Pflegefall in der Familie oder das Haustier – Gründe, warum man nicht von zuhause weg kann, gibt es viele«, erklärt Veit.

Und das ist wohl das dritte Erfolgsgeheimnis der BAB: Sie geht mit der Zeit. Die Kinder einfach mitnehmen zum Seminar – das geht an manchen Standorten heute auch. Die Kleinen werden während des Seminars professionell betreut.

Referenten kommen aus der Praxis.

Immer wieder kamen auch interessierte Gäste aus anderen Bezirken nach Inzell, um sich das Konzept der Betriebsräteakademie vor Ort erklären zu lassen, erzählt der ehemalige Bezirksleiter Wechsler. »Aus dem Erfolgsmodell in Bayern wurde ein Pilotprojekt für Deutschland«. In vier Bezirken hat es bereits Nachahmung gefunden, unter anderem in Niedersachsen und Mitte.

Und doch, die Betriebsräteakademie Bayern bleibt einzigartig. Nicht nur über 200 Gremienseminare bietet sie aktuell an, sondern auch eine exklusive Bildungsberatung. Gremien werden einer tiefgreifenden Kompetenzanalyse unterzogen: Wo ist der Betriebsrat gut aufgestellt, wo besteht Optimierungsbedarf?

Neben Wissens- und Kompetenzvermittlung steht aber auch der persönliche Austausch groß auf dem Programm der Akademie. Zum Beispiel abends beim Bier. Das funktioniert sogar online, schwärmt Leiter Veit. »Ich habe schon erlebt, dass die Leute am Freitagabend nach Ende des Seminars einfach im Meeting blieben.« Um weiterzuratschen und sich zu vernetzen. Weitere Infos: betriebsraeteakademie-bayern.de

Happy Birthday BAB!
Der Festakt in der Kritischen Akademie Inzell

Ein Geburtstag will auch richtig gefeiert werden! Die Betriebsräteakademie Bayern (BAB) lud zu einem Festakt in die Kritische Akademie Inzell. Mit dabei: viele Weggefährt*innen, die den gemeinsamen Erfolg der Betriebsräteakademie ermöglicht haben. Und natürlich die Menschen, die heute dazu beitragen, dass die BAB erfolgreich bleibt. Denn das lässt sich zehn Jahre nach ihrer Gründung defintiv festhalten: Die BAB ist eine Erfolgsstory!

Jubiläumsfeier 10 Jahre BAB

Auf dem Podium: Jürgen Wechsler, Andreas Schmitt, Robert Grashei und Peter Kippes (von links).

Darin waren sich auch die Gäste auf dem Podium einig. Der ehemalige IG Metall-Bezirksleiter Jürgen Wechsler, Robert Grashei, erster Bevollmächtigter der IG Metall Landshut und Peter Kippes, damals 2. Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt und heute Leiter Betriebspolitik in der Vorstandsverwaltung, stellten sich in einer ersten Runde den Fragen von Moderator Andreas Schmitt aus der Bezirksleitung. Wechsler, einer der Initiatoren der BAB, schwärmte: „Die BAB ist kein Baby mehr, sondern ausgewachsen.“ Ein bayerisches Erfolgsmodell, aus dem ein Pilotprojekt für Deutschland wurde. Mit der BAB sei viel mehr Qualität in die gewerkschaftliche Bildungsarbeit hineingekommen, betonte auch Kippes. „Qualität in allen Bereichen“, ergänzte Grashei. Die Leute seien nicht nur vom Inhalt der Seminare begeistert, sondern auch vom Ambiente in den Bildungsstätten. „Denn sie fühlen sich dort gut behütet.“

In einer zweiten Runde nahmen Irene Schulz, zuständig für gewerkschaftliche Bildungsarbeit im Vorstand, Andrea Sicker, zweite Bevollmächigte der IG Metall Bamberg, Dietmar Jansen, erster Bevollmächtigter der IG Metall Allgäu und Sebastian Wichert von der Geschäftsstelle Nürnberg auf dem Podium Platz. „Aus einem riesigen Flickenteppich an regionalen Bildungsanbietern eine qualitätvolle Bildungsarbeit aus einem Guss“ zu machen, sei ein gewagtes Experiment gewesen, erklärte Schulz. Eines, das mittlerweile erfolgreich in fünf Bezirken etabliert sei. „Das Beste ist, dass die BAB vor Ort ist“, betonte Wichert. Regionalität ist auch das, was Sicker so an der BAB schätzt. Und dass viele Referierende aus der Praxis, aus den Betrieben kommen. Der Wunsch für die nächsten zehn Jahre? Jansen brachte es auf den Punkt: „Dass die BAB so gut aufgestellt bleibt wie sie es heute ist!“

Und daran arbeiten alle Beteiligten mit voller Energie. Ein Zukunftsprojekt der BAB steht kurz vor dem Abschluss: der neue Internetauftritt. Thomas Veit, Leiter der Betriebsräteakademie Bayern, gab beim Festakt einen kleinen Vorgschmack auf die neue Webseite. Und so viel sei schon mal verraten: Dem Motto „Bildung aus einem Guss“ wird die BAB auch online künftig voll gerecht.