Industriearbeitsplätze Drei Viertel der Autozulieferer in Bayern erwarten Beschäftigungsabbau

Abwanderung und Stellenabbau in der Autozulieferindustrie drohen dramatische Ausmaße anzunehmen. Politik und Unternehmen müssen schnellstens gegensteuern, fordern Horst Ott, Mario Gutmann, Oliver Moll und Ulrich Schöpplein.

Beim hochverschuldeten Getriebehersteller ZF-Friedrichshafen wurde ein Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung geschlossen.

24. Oktober 2025 24. Oktober 2025


Stellenabbau und Verlagerungen sind in der bayerischen Autozulieferindustrie deutlich ausgeprägter als in der Metall- und Elektroindustrie insgesamt. Das zeigt eine aktuelle Betriebsräte-Befragung* im Auftrag der IG Metall Bayern. Demnach erwarten 76 Prozent der Autozulieferer-Betriebe einen Rückgang der Beschäftigtenzahl, in der Metall- und Elektroindustrie insgesamt sind es 51 Prozent. 57 Prozent der Zulieferer planen die Verlagerung von Produkten (Metall & Elektro: 43 Prozent), 69 Prozent von ihnen verlagern auch Zukunftsprodukte (Metall & Elektro: 53 Prozent).

„Die Abwanderung und der Stellenabbau in der Autozulieferindustrie drohen dramatische Ausmaße anzunehmen. Politik und Unternehmen müssen schnellstens gegensteuern, bevor das Rückgrat unserer Industrie bricht“, mahnt Bayerns IG Metall-Bezirksleiter Horst Ott. „Denn die Unternehmen verlagern insbesondere die Zukunft.“ So plant die Hälfte der Zulieferer (49 Prozent) auch die Verlagerung von Entwicklungsarbeit (Metall & Elektro: 32 Prozent). 54 Prozent der Betriebe erwarten auch einen Abbau bei Ingenieuren (Metall & Elektro: 31 Prozent).

"Der Freistaat muss all seine Förderungen verbindlich an die Sicherung von Arbeitsplätzen knüpfen“

Die Betriebsratsvorsitzenden von ZF Schweinfurt, Schaeffler und Bosch Bamberg erläuterten heute bei einer Pressekonferenz in München gemeinsam mit Ott die schwierige Situation in ihren Unternehmen und der gesamten Branche. Dabei adressierten sie auch Anforderungen für bessere Rahmenbedingungen an die Politik in Bund und Freistaat. „Für mehr Innovation in Bayern brauchen wir eine bessere Vernetzung und eine strategische Förderung von Zukunftstechnologien. Die Staatsregierung muss dafür mehr tun“, sagt Ott. Es gehe etwa darum, unternehmensübergreifende Kooperationen in Zukunftsfeldern aufzubauen und zu fördern. „Dabei muss der Freistaat all seine Förderungen verbindlich an die Sicherung von Arbeitsplätzen und Standorten vor Ort knüpfen. Sonst wird das Geld verbrannt“, so Ott.

Bund und Land ruft Ott auf, Zulieferern zusätzliches Kapital für Investitionen und Innovationen zu ermöglichen: etwa durch KfW-Kredite, stille Beteiligungen und länderspezifische Fonds. „Viele kleine und mittelgroße Unternehmen verlieren Handlungsfähigkeit, weil sie von den Banken nur noch überteuerte oder gar keine Kredite bekommen“, erläutert Ott.

Im Gegenzug für Verbesserungen der Rahmenbedingungen durch die Politik nimmt Ott die Unternehmen in die Pflicht: „Die Unternehmen müssen sich jetzt zu den heimischen Standorten und Arbeitsplätzen bekennen und in sie investieren.“

"Es ist an der Zeit, dass es wieder mehr Patriotismus zwischen Automobilherstellern und Zulieferern gibt"

Das unterstreicht auch Mario Gutmann (Vorsitzender Betriebsrat Robert Bosch GmbH Standort Bamberg, Vorstandsmitglied IG Metall): „In Zeiten von Industrieflucht aus Deutschland ist es an der Zeit, dass es wieder mehr Patriotismus zwischen Automobilherstellern und Zulieferern gibt. Wir erleben eine neue Weltordnung, die Machtverhältnisse haben sich zu Ungunsten Europas entwickelt. Der Leitmarkt für Innovationen hat sich Richtung China verschoben, die Manipulation durch die protektionistische Zollpolitik der USA ist unberechenbar. Bei China und den USA haben wir es mit autokratisch regierten Gegenpolen zu tun. Wenn Europa und damit auch Deutschland als Industriestandort überleben wollen, muss die Überregulierung schnellstmöglich beendet werden. Technologieoffenheit und uneingeschränkte Innovation müssen immer Vorrang haben.

Das für 2035 geplante Verbrennerverbot muss der bestehenden Realität folgend überdacht werden, wenn wir unseren Wohlstand, unseren sozialen Frieden und schlussendlich unsere Demokratie nicht gefährden wollen. Alles, was den Klimazielen aber auch dem Erhalt der Industriearbeitsplätze hilft, muss unvoreingenommen und gleichberechtigt in der EU gesetzt sein. Wasserstoff als Energieträger der Zukunft muss in allen Facetten vielmehr in den Vordergrund gestellt und gefördert werden.

Die bestehende Abhängigkeit bei Lieferketten und Rohstoffen von China und den USA müssen wir aufbrechen, sonst sind wir weiterhin nur der Spielball innerhalb der Triade. Europa wird gerade zwischen China und den USA aufgerieben, Deutschland ist aktuell nicht wettbewerbsfähig. Parteipolitische Interessen müssen hintenanstehen, damit unser Wirtschaftsstandort und damit die Finanzierung unseres Sozialstaats wieder auf Kurs gebracht werden. Jetzt muss unsere Bundesregierung liefern und endlich an einem Ende des Stranges ziehen."

„Von den Kapitalmärkten brauchen wir Mut zur Investition, mit günstigen Zinsen und langen Laufzeiten“

Oliver Moll (Vorsitzender Betriebsrat ZF Friedrichshafen AG Standort Schweinfurt) setzt auf Innovationen und qualifizierte Beschäftigte: „Die ZF hat frühzeitig sehr viel Geld in die Elektromobilität investiert, was sich nun durch den langsameren Hochlauf, bedingt durch wenig regulatorische Konsequenz und eine damit verbundene Verunsicherung der Menschen, nicht so rechnet, wie wir das erwartet haben. Hinzu kommt die schlichte Tatsache, dass das deutsche Exportwunder an sein Ende gekommen ist. Wir müssen also von deutlich niedrigeren Stückzahlen ausgehen, was auch die Beschäftigung trifft.

Wir haben bei ZF nun mit dem Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit ein Paket geschnürt, das einerseits verhindern soll, dass es zu betriebsbedingten Kündigungen kommt und andererseits das Unternehmen so aufstellt, dass es wieder wettbewerbsfähig und innovativ wird. Ich bin da sehr hoffnungsvoll und sehe das auch als Weg für die ganze Branche: Wir müssen uns strategisch auf geänderte Marktbedingungen einstellen, um darauf mit innovativen Produkten und qualifizierten Belegschaften reagieren zu können. Dazu braucht es von der Politik einen stabilen und verlässlichen Rahmen und von den Kapitalmärkten Mut zur Investition in die Automobilbranche, mit günstigen Zinsen und langen Laufzeiten.“

„Wir brauchen einen Schulterschluss zwischen Kapital, Politik, IG Metall und Arbeitnehmervertretungen“

Ulrich Schöpplein (Vorsitzender Konzernbetriebsrat Schaeffler AG) betont die Wichtigkeit von Industriepolitik und Sozialpartnerschaft: „Deutschland und Europa stehen an einem historischen Wendepunkt: Schlüsseltechnologien, die einst Aushängeschilder der europäischen Industrie waren, wandern ab – nicht aus Mangel an Innovationskraft, sondern weil keine skalierbaren Märkte entstehen. Die Transformation der Industrie – weg vom Verbrennungsmotor, hin zu Elektromobilität, Wasserstofftechnologie und digitalen Ökosystemen – ist unumkehrbar. Doch ohne gezielte industriepolitische Impulse droht Europa den Anschluss zu verlieren. Wenn keine koordinierte Skalierung neuer Technologien erfolgt, werden Produktionsstrukturen in Best-Cost-Ländern und anderen globalen Regionen aufgebaut, die nicht mehr zurückgeholt werden können.

Wir brauchen jetzt ein neues Denken: branchenübergreifende Industrie-Ökosysteme, strategisch koordinierte Investitionen auf EU- und Bundesebene sowie einen Schulterschluss zwischen Kapital, Politik, IG Metall und Arbeitnehmervertretungen. Jetzt ist die Zeit für eine koordinierte Industriepolitik, die Innovationen fördert, Märkte schafft und Beschäftigung sichert. Nur durch eine starke Sozialpartnerschaft kann der Wandel sozialverträglich und zukunftsfähig gestaltet werden – auch auf betrieblicher Ebene.“

 

*Befragt wurden in Bayern Betriebsräte von 51 Betrieben der Autozulieferindustrie und insgesamt 333 Betrieben der Metall- und Elektroindustrie. Die Autozulieferindustrie gehört zur Metall- und Elektroindustrie.