„Wir sind Menschen, keine Nummern!“ Nadine Braum ist stinksauer. Auf ihre Unternehmensleitung. Das Management von Magna Mirrors will den Standort in Dorfprozelten mit fast 500 Beschäftigten Mitte 2025 schließen. Die Produktion soll zur Gewinnmaximierung vom Untermain in osteuropäische Länder verlagert werden. An die Familien, die zum Teil seit Generationen im Betrieb arbeiten, denke man in der Geschäftsführung nicht, klagt Braum, die bei Magna in der Disposition Montage arbeitet. Sie macht an diesem sonnigen Tag ihrem Ärger vor den Magna-Werkstoren Luft – gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der kompletten Frühschicht.
Die IG Metall Aschaffenburg hat zu diesem Warnstreik am 26. Mai aufgerufen. Am Tag zuvor war eine Tarifverhandlung zwischen IG Metall und dem Unternehmen über einen Sozialtarifvertrag ergebnislos abgebrochen worden. „Magna bewegt sich kein Stück und rückt auch nicht von den Plänen ab, den Standort zu schließen“, sagt Percy Scheidler, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Aschaffenburg. Das Ziel der IG Metall: tarifvertragliche Investitionen und eine Standortsicherung. »Wenn Magna weiter blockiert, wird das nicht der letzte Streik gewesen sein«, so Scheidler. „Entweder der Standort bleibt erhalten oder es wird teuer.“
„Wir geben nicht klein bei“, betont auch Heinz Pleßmann, Leiter der Vertrauensleute. Wut ist zu spüren bei den Beschäftigten. Und Angst. Aber eben auch eine große Kampfbereitschaft. „Wir könnten hier immer noch gute Geschäfte machen“, sagt Pleßmann. Magna Mirrors stellt Spiegelsysteme her. „Die braucht es doch für jedes Auto, egal welchen Antrieb es hat“, so Pleßmann. „Vom Management erwarten wir deshalb, dass es mit den Beschäftigten an einer Standortfortführung arbeitet«, ergänzt Braum, die im Verhandlungsteam der IG Metall sitzt. „Und zwar ernsthaft!“
Die geplante Schließung des Magna-Werkes in Dorfprozelten trifft die Region empfindlich. Besonders fatal: Bei weiteren Autozulieferbetrieben am Untermain drohen erhebliche Arbeitsplatzverluste durch Verlagerungen in Billiglohnländer. Obwohl auch sie Zukunftsprodukte herstellen: Lenkräder, Airbags oder Batteriekästen etwa. „Von den 6000 Arbeitsplätzen in der Zulieferindustrie stehen 2000 auf der Kippe“, erklärt Percy Scheidler.
Und so ist der Warnstreik bei Magna in einen Aktionstag eingebettet, an dem auch die Beschäftigten von Joyson, Recall, ZF und Waldaschaff Automotive für die Zukunft ihrer Arbeitsplätze protestierten. Insgesamt beteiligen sich über 1000 Beschäftigte an den Aktionen in der Region.
Scheidler sieht vor allem die Unternehmen in der Verantwortung, dass die Beschäftigten eine Perspektive behalten. Aber auch die Politik. Ein Runder Tisch mit Vertretern der regionalen Politik, Unternehmen, Gewerkschaftern und Netzwerkpartnern fand Ende Mai statt. Und am 13. Juni gab es ein Treffen von Gewerkschaft, Betriebsräten und Magna-Management mit Vetretern des bayerischen Wirtschaftsministeriums. Neue Produkte wurden dort vorgestellt. Scheidler: „Jetzt erwarten wir vom Wirtschaftsministerium eine schnelle Zusage für Zuschüsse für Innovationen und Qualifizierung.“
Und die Betroffenheit reicht weit über die Region am Untermain hinaus. Laut einer Betriebsräte-Befragung der IG Metall Bayern besteht in 34 Prozent der Betriebe ein aktuelles Risiko für Verlagerungen ins Ausland. Scheidler: „Damit hat das Ausmaß der Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit gegenüber dem heimischen Standort eine neue Qualität erreicht.“